Systemkritik

Ein Nachteil der 12V-Systeme liegt darin begründet, daß der Glühfaden der 12V HS4-Lampe deutlich länger ist als der der HS3-Lampe. Auf die Erschütterungen im Fahrbetrieb dürfte die HS4-Lampe noch empfindlicher reagieren als die HS3-Lampe, die mit 100-160 Stunden Betriebsdauer (im ruhigen Prüfstand?) angegeben ist.

Nach Hentschel steigt bei gleicher Lebensdauer die Lichtausbeute mit dem Drahtdurchmesser[He94]. Auch dies würde, von den anderen hier angeführten Gründen abgesehen, für die Beibehaltung der 6V-Technik sprechen. Nur müssen dann die Benutzer dahingehend aufgeklärt werden, daß sie auch bei der Fahrradbeleuchtung auf die Leistung der Ersatzteile achten müssen, nicht nur bei der Wohnbeleuchtung! Dies ist dürfte aber durch einen deutlichen Hinweis auf Dynamo und Scheinwerfer durchführbar sein.

Für eine längere Lampenhaltbarkeit wäre es sicherlich besser bei 6V zu bleiben und die Nennstromstärke anzuheben. Dadurch wird der Glühfaden dicker und erhält eine größere mechanische Stabilität. Die Masse steigt mit wachsendem Drahtdurchmesser quadratisch, die Steifigkeit hoch vier.

Einer vernünftigen Verkabelung mit wenigen Kontaktstellen, die den Rahmen und besonders nicht den Steuersatz oder Federgelenke im Stromfluß vorsieht, ist es in erster Näherung egal ob 6V oder 12V anliegen. Spannungsverluste durch Übergangswiderstände können dann vernachlässigt werden.

Der Doppelwendelfaden der HS4-Lampe weist eine größere abstrahlende Oberfläche als der Einfachwendelfaden der HS3-Lampe auf. Die Doppelwendel heizt sich durch Selbstbestrahlung noch besser auf als eine Einfachwendel. Unter anderem dadurch kann die höhere Lichtausbeute von 18lm/W statt 15lm/W begründet liegen. Zumindest die (fünf) HPR74, die der Autor bisher gesehen hat, streuen stark und Wendellage und -aufbau: Die Wendelachsen liegen selten axial, meist sogar schief (ca. 30 Grad aus der Achse heraus gekippt). Zudem sind die Verstärkungsdrähte, die im äußeren Bereich die Wendel unterstützen unterschiedlich lang, mal reichen sie bis an die erste Wicklung ran, mal wird nur ca. 1 mm unterstützt. Hier haben die Leuchtenkonstrukteure also die großen Fertigungsschwankungen zu beachten.

Es gibt keinen eindeutigen Vorteil von 12V oder 6V-Systemen. Dafür hat jedes System zuviel Nachteile. Ob die Steigerung der Lichtausbeute den Nachteil der zu erwartenden Lampenhaltbarkeit aufwiegt sei dahingestellt.

Ein derzeitiger Nachteil der 12V-Systeme sei nicht verschwiegen: Es gibt kaum Rücklichter und Scheinwerfer, die Komponenten sind noch sehr teuer und im Ersatzfall nich bei jedem Händler sofort erhältlich.

In 6 bzw. 12V-Systemen müssen die Rücklichter laut dem Entwurf TA 14b (vgl. Seite [*]) mindestens 0,3 bzw. 0,6W aufnehmen. Eine ausreichend helle LED nimmt bei 30mA und 2,1V nur 0,063W auf. Schaltwandler werden unter diesen Randbedingungen mit einem Wirkungsgrad von etwa 70% angegeben. Überschlägig sind das nur 0,08W Leistungsaufnahme für das Rücklicht. Bei Berücksichtigung eines kleinen Sicherheitsfaktors ständen ohne einen Mehraufwand an Tretleistung mehr für den Scheinwerfer zur Verfügung.

Jetzt könnte man sagen, OK, ziehen wir uns einen passenden Drahtdurchmesser für die Glühlampen. Ganz so einfach ist das bei Wolfram nicht. Anscheinend gibt es nur eine Handvoll von standardisierten Drahtdurchmessern und daraus folgenden Stromstärken. Bei Philips sind dies, nach bisher gefundenen Daten: 0,5, 0,7, 0,75, 0,85A.... Diese können anscheinend unter Einfluß auf die Lebensdauer leicht variiert werden. Weitere Beeinflussungen sind sicherlich z.B. über die Steigung und den Durchmesser der Wendel möglich.

Olaf Schultz, Hamburg-Harburg
2010-10-02